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Und dann kam alles ganz anders. Wie Hagars Geschichte auch hätte ausgehen können

2.5.2024

Kürzlich haben wir in unserer Veranstaltungsreihe "Bibel teilen digital" über Hagars Geschichte nach 1. Mose 16,1-16 gesprochen. Wir haben uns versucht, in die handelnden Personen hineinzufühlen. Dabei kamen zwei von uns auf die Idee, Hagars Geschichte nachzuerzählen. Ihre Geschichten sind so spannend, dass sie hier auf dem Blog nachzulesen sein sollen. Den Anfang macht eine Teilnehmerin, die lieber anonym bleiben möchte. Sie erzählt die Geschichte von Hagar, wie sie auch hätte ausgehen können... Die Autorin macht darauf aufmerksam, dass es in dieser Geschichte um die Themen "Entführung, Flucht und körperliche/psychische/sexuelle Gewalt" geht.

© EvaManzl@pixabay

Der Sand brannte unter ihren Füßen wie er noch nie gebrannt hat. Der Felsen, von der Sonne in glühende Platten verwandelt, schien ihre nackten Sohlen zu verkohlen wie die Flammen die Opfergaben, die ihre Herren diesem Gott darbrachten, den sie verehrten. Nach ihren Erzählungen zu urteilen, die sie gelegentlich aufgeschnappt hatte zwischen dem Reinigen der Zeltplanen und dem Mahlen von Getreide schien dieser ja ganz freundlich zu sein. Ihren Herren gegenüber. Sie selbst hatte von dieser Freundlichkeit nur selten etwas erlebt. Auch wenn Sarai, ihre Besitzerin, ihr oftmals vorgeworfen hat, diesem Gott nicht genug zu huldigen oder nicht richtig oder dass sie durch ihre rebellische Art diesen Gott beleidigte, wenn sie nicht gründlich genug die Zelte geputzt hat oder nicht flink genug war beim Wasserholen, sodass das Wasser zu warm wurde und Sarais Füße nicht zu ihrer Zufriedenheit erfrischte, wenn sie ihrer Besitzerin die Füße waschen musste. Dabei lag Bascha nichts ferner als die Götter zu beleidigen. Wie oft schon hatte sie Prügel bekommen, weil das Mehl für die nächste Mahlzeit nicht fein genug gemahlen war, wie oft wurde ihr der Wasserkrug mit dem zu warmen Wasser ins Gesicht geschlagen, und sie musste den ganzen Weg noch einmal laufen, um hoffentlich kühleres Wasser zu bekommen. Obwohl doch jeder weiß, dass das Wasser im Laufe des Tages nicht kühler wird.

 

Nicht mal die Mühe hatten sie sich gegeben, sie bei ihrem Namen zu nennen. Für sie war Bascha immer nur "Du da!" oder, wie sie sie unter sich nannten, Ha Gar. In ihrer Sprache einfach ein Ausdruck für eine Fremde. Die nicht dazu gehört. 

 

Und so hatte sie sich auch immer gefühlt. Die Tochter eines Schreibers war sie gewesen. Ihre Familie war angesehen, einmal durfte ihr Vater sogar beim Pharao persönlich erscheinen. Eine große Ehre war das gewesen. Und den Lohn, den er für seine Arbeit erhalten hatte hätte sogar gereicht, um Baschas Brautkleid zu bezahlen. 

 

Aber dann kam alles anders. Über Nacht waren sie gekommen, hatten alles geplündert und sie und ihre Schwester Aset einfach mitgenommen. Von Aset hatte Bascha nie wieder etwas gehört. Und sie selbst fand sich in einem fremden Land wieder, weit weg von ihrer ägyptischen Heimat, weit weg von der Mat, der ewigen Ordnung unter dem Pharao und dem Segen der Götter. In einer Familie, die sie, Bascha, Tochter des Aamun, als ihren Besitz ansieht. Als Sklavin. Sie hatte versucht, sich zu fügen. Sie hatte versucht, es als eine Prüfung der Isis anzunehmen. Und hatte in ihren Gedanken immer wieder die Geschichte des Horus nacherzählt. Der auch viel gelitten hatte und sie versuchte, daraus Trost zu schöpfen. Wenn die Götter schon leiden mussten, warum sollte es ihr dann anders gehen? 

 

Aber jetzt... geschändet hatten sie sie. Von einem alten Mann, der ihr Großvater hätte sein können. Als Sarai sie in Abrams Zelt geschickt hatte, hatte Bascha bis zuletzt nicht geglaubt, dass das wirklich geschehen würde. Aber es war geschehen. 

 

Und jetzt lief sie durch die Wüste. Mit einem Kind von diesem Mann in ihrem Inneren. Sie konnte es nicht loswerden. Sollte sie es? Wollte sie es? Vielleicht war die einzige Möglichkeit, es loszuwerden, immer weiter und weiter zu laufen, bis irgendwann die brennende Sonne ein Erbarmen mit ihr haben würde. Aber... das Kind konnte nichts dafür. Würde Bascha ein Kind opfern? Im Moment wusste sie überhaupt nichts mehr. Außer, dass sie einfach immer weiter und weiter weg musste. Wusste weder wohin noch woher. Und konnte nicht mal sagen, ob es ihr nicht egal war.

 

An einem Brunnen machte sie Rast. Vielleicht das letzte mal etwas trinken. Es war töricht, denn es würde ihr Leiden nur in die Länge ziehen. Mit einem Seufzen setzte sie sich mit dem Rücken an den Brunnen. Ließ ihre Augen über die endlose Wüste gleiten. Die ihr Schicksal werden sollte. 

Zuerst glaubte sie, ihren Augen nicht trauen zu können. Luftspiegelungen und Halluzinationen waren nichts Ungewöhnliches in der Wüste. Aber diese hier... es kam näher und näher. Bascha stand auf und blinzelte. Schloss die Augen, schüttelte den Kopf und öffnete sie wieder. Es war immer noch da. Und kam näher.

 

Eine Karawane. Irgendetwas an ihnen sorgte dafür, dass Bascha auf sie zu lief. Und lief und lief. Ihre Füße schmerzten nicht mehr so stark, die Hitze nahm sie kaum noch wahr. Als sie in Sichtfeld der Gruppe war erkannte sie, dass es Händler sein mussten. Sie warf sie sich zu Boden und flehte, sie mögen sie mitnehmen. Wohin sie auch immer unterwegs seien. Sie würde ganz bestimmt keine Last sein, sie konnte arbeiten, sie war gebildet und konnte sowohl die Sprachen der Hebräer als auch ägyptisch, Letzteres sogar ein wenig lesen und schreiben. 

 

"Woher kommst du?", fragte der Anführer. Bascha konnte keine Antwort geben, denn Abram hatte es nie für nötig gehalten, sie darüber aufzuklären, wie die Orte hießen, an denen sie ihre Zelte aufschlugen. "Und wohin willst du?" Auch keine Antwort. Einfach nur weg, aber wohin genau? Das wusste Bascha nicht. 

"Gut." sagte er schließlich, "Komm mit. Wir werden schon eine Aufgabe für dich finden." Bascha dankte allen Göttern, von denen sie je gehört hat und schloss sich der Karawane an. Die Arbeit war nicht einfach, grade für eine schwangere Frau. Doch sie war weit weniger hart als dort, wo sie her kam. Und sie fühlte sich weit weniger schlimm an, denn sie hatte keine Sarai mehr, die sie strafte. Seit Jahren hatte Bascha sich nicht mehr so frei gefühlt.

Einige Wochen zog sie so mit der Karawane durch die Wüste, half bei der Zubereitung von Nahrung und dem Auf- und Abladen der Waren. Einmal fand sie sogar den Mut, den Karawanenführer auf einen Schreibfehler hinzuweisen, den dieser in einem Vertrag in ägyptischer Sprache gemacht hat. Bis eines Tages...

 

Zuerst glaubte Bascha wieder an eine Luftspiegelung oder eine Halluzination. Sie lachte über sich selbst. Ein Gefühl, das sie schon lange vergessen glaubte. Sie achtete nicht auf ihre Wahrnehmung und widmete sich wieder dem Laufen und dachte daran, dass in einigen Meilen die Reise für diesen Tag wohl beendet werden würde. Aber als die Tagesreise tatsächlich beendet wurde, sah Bascha noch einmal genauer in diese Richtung, zu der sie unterwegs waren. 

Tränen stiegen ihr in die Augen. Sie fing an, zu schnell zu atmen, dankbar nahm sie das Wasser entgegen, das ihr gereicht wurde. Niemals hätte sie geglaubt, sehen zu dürfen, was sich da vor ihren Augen auszubreiten begann. 

Grüne Palmen. Fruchtbare Felder. In der Ferne, ganz weit hinten, die Spitzen einer Pyramide. 

 

Zu Hause. Sie war wieder zu Hause. Sie glaubte schon den Tempel der Isis zu sehen, an dem sie als Kind so oft Mäuschen gespielt hatte. Sie glaubte schon, das Essen ihrer Mutter zu riechen, die Stimme ihres Vaters zu hören. Sie glaubte schon, das kühle Nass des Nils an ihren Füßen zu spüren und den Schlamm, der regelmäßig, verlässlich und beständig die fruchtbare Erde brachte. Ägypten. Sie war nicht mehr im Land des Todes.

 

Sie war endlich wieder zu Hause.

 

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